Wenn Sie für Ihre Direktwerbung Adressen anmieten und einen Lettershop nutzen, könnten Sie bald als „gemeinsam Verantwortlicher“ im Sinne der DSGVO gelten – selbst wenn Sie die Adressen nie zu Gesicht bekommen. Diese radikale Rechtsauffassung vertritt die Berliner Datenschutzbeauftragte und könnte die gesamte Praxis des Adresshandels auf den Kopf stellen.

Der Fall: Gezielte Werbung ohne direkten Datenzugriff

Die Berliner Datenschutzbehörde untersuchte zwei Fälle, in denen Unternehmen postalische Werbung über einen Lettershop versenden ließen. Die Adressen dafür mieteten sie von Adresshändlern, die eine gezielte Auswahl nach Kriterien wie „Kaufkraft überdurchschnittlich“ oder „liberal-intellektuell“ trafen. Der Clou: Die werbenden Unternehmen erhielten die Adressdaten selbst zu keinem Zeitpunkt. Der Adresshändler gab die selektierten Daten direkt an den Lettershop, der den Versand übernahm.

Die Argumentation der Behörde: Wer die Kriterien bestimmt, ist mitverantwortlich

Trotz des fehlenden Datenzugriffs stufte die Behörde die werbenden Unternehmen und die Adresshändler als gemeinsam Verantwortliche nach Art. 26 DSGVO ein. Ihre Begründung:

  • Gemeinsamer Zweck: Beide Parteien verfolgen gemeinsam den Zweck, Direktwerbung an eine spezifisch ausgewählte Zielgruppe zu senden.
  • Gemeinsame Mittel: Beide legen die wesentlichen Mittel der Verarbeitung fest. Der Werbetreibende bestimmt die Zielgruppenkriterien und den Inhalt des Schreibens. Der Adresshändler stellt die Daten und den Selektionsprozess bereit.

Entscheidend ist laut Behörde, dass nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) auch derjenige über Zwecke und Mittel entscheiden kann, der die Daten nicht selbst verarbeitet oder Zugriff darauf hat. Da die Unternehmen diese gemeinsame Verantwortung bestritten, hatten sie logischerweise auch keine entsprechende Vereinbarung nach Art. 26 DSGVO abgeschlossen – ein klarer Rechtsverstoß aus Sicht der Behörde.

Was bedeutet „gemeinsame Verantwortlichkeit“ für Ihr Unternehmen?

Sollte sich diese Rechtsauffassung durchsetzen, hätte das massive Konsequenzen für die gesamte Werbebranche. Die Anmerkungen von RA Dr. Bahr verdeutlichen das immense Risiko:

  • Gesamtschuldnerische Haftung: Bei einem Datenschutzverstoß (z.B. einem Datenleck beim Adresshändler) würde auch das werbende Unternehmen voll haften. Ein Bußgeld könnte also bei beiden in voller Höhe eingefordert werden.
  • Pflicht zum Art. 26-Vertrag: Werbetreibende müssten mit jedem Adresshändler eine komplexe Vereinbarung über die gemeinsame Verantwortlichkeit abschließen. Darin muss genau geregelt werden, wer welche DSGVO-Pflichten erfüllt.
  • Komplexe Betroffenenrechte: Wenn ein Empfänger der Werbung Auskunft nach Art. 15 DSGVO vom werbenden Unternehmen verlangt, könnte dieses nicht mehr einfach antworten: „Wir haben keine Daten von Ihnen.“ Es wäre mitverantwortlich, die Auskunft zusammen mit dem Adresshändler zu erteilen. Dies erfordert komplett neue Prozesse.

FAQ: Adresshandel & DSGVO – Was Sie jetzt wissen müssen

  • Was genau ist eine „gemeinsame Verantwortlichkeit“ nach Art. 26 DSGVO?
    Sie liegt vor, wenn zwei oder mehr Unternehmen gemeinsam über die Zwecke und die wesentlichen Mittel der Datenverarbeitung entscheiden.
  • Warum ist eine Vereinbarung nach Art. 26 DSGVO so wichtig?
    Sie ist gesetzlich vorgeschrieben und legt transparent fest, wer für welche Pflichten (z.B. Information der Betroffenen, Beantwortung von Anfragen) zuständig ist. Fehlt sie, ist das ein eigenständiger DSGVO-Verstoß.
  • Was bedeutet „gesamtschuldnerische Haftung“ im Klartext?
    Im Schadensfall oder bei einem Bußgeld kann sich die Behörde oder der Geschädigte aussuchen, von wem er die volle Summe fordert. Der Betrag kann nicht einfach aufgeteilt werden.
  • Was sollte ich tun, wenn ich Adressen für Werbezwecke anmiete?
    Beobachten Sie die Entwicklung dieses Falls genau. Sprechen Sie proaktiv mit Ihren Adresshändlern über dieses Thema und prüfen Sie Ihre Verträge. Seien Sie auf die Notwendigkeit einer Art. 26-Vereinbarung vorbereitet.

Fazit: Ein Paradigmenwechsel für den Adresshandel bahnt sich an

Die Position der Berliner Datenschutzbehörde könnte die Spielregeln für Direktwerbung fundamental verändern. Auch wenn ein Gerichtsverfahren noch läuft und ein Urteil für 2025 erwartet wird, ist das Signal klar: Die Verantwortung für Datenverarbeitung wird immer weiter gefasst. Unternehmen, die auf Direktwerbung mit gemieteten Adressen setzen, müssen sich auf eine neue Ära der Mitverantwortung und Haftung einstellen.

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