Ist ein Dienst wirklich „kostenlos“, wenn Nutzer dafür mit ihren persönlichen Daten „bezahlen“? Diese fundamentale Frage, die das Herzstück unzähliger digitaler Geschäftsmodelle trifft, liegt nun auf dem Tisch des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem Verfahren gegen Facebook entschieden, diese Grundsatzfrage zur Klärung nach Luxemburg zu geben (BGH, Beschluss v. 25.09.2025 – Az.: I ZR 11/20).

Streit um den Slogan „Facebook ist und bleibt kostenlos“

Ein deutscher Verbraucherverband verklagte Facebook wegen des langjährigen Werbeslogans „Facebook ist und bleibt kostenlos“. Die Argumentation des Verbands: Diese Aussage sei irreführend, da die Nutzer sehr wohl eine Gegenleistung erbringen – und zwar in Form ihrer persönlichen Daten. Facebook nutze diese Daten, um hochgradig personalisierte Werbung zu schalten und damit enorme Gewinne zu erzielen. Die Preisgabe von Daten sei also eine Form der Bezahlung, weshalb der Dienst in Wahrheit nicht kostenlos sei.

Der BGH legt die Grundsatzfrage dem EuGH vor

Der BGH hat den Fall nicht selbst entschieden, sondern hält die Frage für so grundlegend, dass er sie dem EuGH zur Auslegung des europäischen Rechts vorlegt. Die konkrete Frage, die nun in Luxemburg beantwortet werden muss, lautet sinngemäß:

Fällt unter den Begriff „Kosten“ im Sinne der EU-Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken auch die Preisgabe von personenbezogenen Daten und die Einwilligung in deren kommerzielle Nutzung?

Was die EuGH-Entscheidung für Ihr Geschäftsmodell bedeutet

Die Antwort des EuGH auf diese Frage hat das Potenzial, die Spielregeln für einen Großteil der Digitalwirtschaft neu zu schreiben. Die Konsequenzen könnten weitreichend sein:

  • Das gesamte „Freemium“-Modell steht auf dem Prüfstand: Wenn die Bezeichnung „kostenlos“ bei datenfinanzierten Diensten als irreführend eingestuft wird, müssen unzählige Unternehmen – von Social-Media-Plattformen über Nachrichtenportale bis hin zu Anbietern von Gratis-Apps – ihre Marketingstrategie fundamental überdenken.
  • Gefahr einer neuen Abmahnwelle: Sollte der EuGH der Ansicht der Verbraucherschützer folgen, entstünde eine neue, massive Angriffsfläche für Abmahnungen nach dem Wettbewerbsrecht (UWG). Jedes Unternehmen, das mit „kostenlos“ wirbt, aber Daten kommerziell nutzt, wäre angreifbar.
  • Mehr Transparenz wird zur Pflicht: Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens zeigt die Vorlage des BGH, dass die Gerichte eine immer höhere Transparenz bei datenbasierten Geschäftsmodellen fordern. Unternehmen könnten gezwungen sein, den „Preis“ der Datennutzung viel deutlicher zu kommunizieren.
  • DSGVO und Wettbewerbsrecht verschmelzen weiter: Der Fall zeigt eindrücklich, wie eng Datenschutzrecht (DSGVO) und Wettbewerbsrecht (UWG) miteinander verknüpft sind. Ein DSGVO-konformer Umgang mit Daten wird immer mehr zur Voraussetzung für ein rechtssicheres Marketing.

FAQ zum Thema „Kostenlos“ und Bezahlen mit Daten

  • Was genau ist das Problem mit dem Wort „kostenlos“?
    Das Problem ist, dass es suggeriert, der Nutzer müsse keinerlei Gegenleistung erbringen. Verbraucherschützer argumentieren, dass die Überlassung wertvoller persönlicher Daten eine erhebliche Gegenleistung darstellt.
  • Betrifft mich das auch, wenn ich nur ein kleines Online-Tool anbiete?
    Ja. Sobald Sie einen Dienst als „kostenlos“ bezeichnen und die dabei erhobenen Nutzerdaten für kommerzielle Zwecke verwenden (sei es für Werbung, Produktanalyse oder Lead-Generierung), sind Sie von der potenziellen Entscheidung des EuGH betroffen.
  • Was wären die Konsequenzen, wenn der EuGH „Zahlen mit Daten“ als Kosten ansieht?
    Unternehmen dürften ihre Dienste nicht mehr als „kostenlos“ bewerben. Sie müssten alternative Formulierungen finden, wie z.B. „Ohne Geldzahlung“, „Werbefinanziert“ oder „Nutzung im Austausch für Daten“.
  • Wie lange wird es dauern, bis der EuGH entscheidet?
    Verfahren vor dem EuGH dauern in der Regel zwischen 1,5 und 2 Jahren. Mit einer Entscheidung ist also nicht vor 2027 zu rechnen.
  • Wie kann ich mein Marketing schon jetzt rechtssicherer gestalten?
    Maximale Transparenz ist der Schlüssel. Erklären Sie Ihren Nutzern klar und verständlich, wie Sie Geld verdienen und welche Daten Sie dafür benötigen. Unsere Experten können Ihnen helfen, Ihre Kommunikation und Prozesse zu überprüfen. Kontaktieren Sie uns.

Die Spielregeln für „kostenlos“ werden neu geschrieben

Die Frage, ob unsere Daten eine Währung sind, die den Begriff „kostenlos“ ausschließt, zielt auf die Grundpfeiler der digitalen Ökonomie. Die Antwort aus Luxemburg wird weitreichende Folgen für das Marketing, die Produktgestaltung und die Transparenzpflichten von praktisch jedem Online-Anbieter haben. Unabhängig vom Ausgang ist klar, die Ära, in der die kommerzielle Nutzung von Daten hinter einem simplen „kostenlos“ versteckt werden konnte, neigt sich dem Ende zu.

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