Steht die umstrittene Praxis der massenhaften Google Fonts-Abmahnungen vor dem Aus? Der Bundesgerichtshof (BGH) hat in einem wegweisenden Beschluss vom 28. August 2025 (Az.: VI ZR 258/24) den Europäischen Gerichtshof (EuGH) angerufen. Geklärt werden soll die fundamentale Frage, ob ein Schadensersatzanspruch nach der DSGVO auch dann besteht, wenn ein Datenschutzverstoß systematisch und in massenhafter Weise provoziert wird, nur um Geld zu fordern.
Der Fall der gezielt provozierten Datenschutzverstöße
Ein Webseitenbetreiber nutzte Google Fonts auf eine Weise, die beim Besuch der Seite automatisch die IP-Adressen der Nutzer an Google in die USA übermittelte – ein bekannter DSGVO-Verstoß. Ein Beklagter machte sich diesen Umstand zunutze und entwickelte ein Geschäftsmodell daraus: Er setzte eine Software ein, um gezielt solche Websites zu finden und rief sie über 100.000 Mal automatisiert auf. Ziel war es, die Verstöße zu dokumentieren und anschließend Abmahnungen mit Zahlungsaufforderungen zu versenden. Der betroffene Website-Betreiber zahlte zunächst 170 Euro, forderte diesen Betrag aber später gerichtlich zurück.
Die entscheidenden Fragen an den EuGH
Der BGH hat den Fall nun ausgesetzt und dem EuGH drei zentrale Fragenkomplexe zur Klärung vorgelegt, die das Potenzial haben, die „Abmahnindustrie“ in ihren Grundfesten zu erschüttern:
- Wann ist eine IP-Adresse wirklich personenbezogen?
Der BGH bittet um Klärung, ob eine dynamische IP-Adresse schon dann als personenbezogenes Datum gilt, wenn irgendein Dritter (z.B. ein Internetanbieter) theoretisch die Person identifizieren könnte. Oder muss der Website-Betreiber selbst über die „vernünftigerweise einsetzbaren Mittel“ zur Identifizierung verfügen? - Gibt es Schadensersatz wenn der Verstoß absichtlich herbeigeführt wurde?
Dies ist die Kernfrage: Kann eine Person einen „immateriellen Schaden“ erleiden, wenn sie den DSGVO-Verstoß bewusst und absichtlich herbeiführt, nur um einen Anspruch geltend zu machen? Spielt es eine Rolle, ob dies massenhaft und automatisiert geschieht? - Kann ein solcher Anspruch rechtsmissbräuchlich sein?
Selbst wenn ein formaler Schaden vorliegt, fragt der BGH, ob der Anspruch wegen Rechtsmissbrauchs abgelehnt werden kann. Insbesondere dann, wenn das alleinige Motiv die Erlangung eines finanziellen Vorteils war, indem die Voraussetzungen dafür „künstlich geschaffen“ wurden.
Implikationen für Unternehmen und die Abmahnpraxis
- Das mögliche Ende der Abmahnwelle: Sollte der EuGH der vom BGH angedeuteten Linie folgen und einen Rechtsmissbrauch bejahen, wäre das Geschäftsmodell der massenhaften, automatisierten DSGVO-Abmahnungen am Ende.
- Mehr Rechtssicherheit bei IP-Adressen: Die Antwort auf die erste Frage wird eine seit Jahren umstrittene Grundsatzfrage des Datenschutzrechts klären und Unternehmen mehr Sicherheit im Umgang mit IP-Adressen geben.
- Stärkung des Rechtsmissbrauchs-Einwands: Unternehmen hätten ein starkes juristisches Argument in der Hand, um sich gegen offensichtlich missbräuchliche und nur auf Gelderwerb ausgerichtete Forderungen zu wehren.
- Grundproblem bleibt bestehen: Wichtig ist jedoch: Bis zur Entscheidung des EuGH und auch danach bleibt die fehlerhafte Einbindung von Diensten wie Google Fonts ein echter DSGVO-Verstoß, der behoben werden muss.
FAQ zur Google Fonts Abmahnwelle und dem BGH-Beschluss
- Was sind Google Fonts und wo liegt das Datenschutzproblem?
Google Fonts sind Schriftarten von Google. Bei der Standard-Einbindung wird bei jedem Seitenaufruf eine Verbindung zu Google-Servern in den USA aufgebaut, wobei die IP-Adresse des Nutzers übertragen wird. Dies stellt einen unzulässigen Datentransfer in ein Drittland ohne ausreichende Rechtsgrundlage dar. - Was ist eine „Abmahnwelle“?
Damit wird das massenhafte Versenden von Abmahnungen und Zahlungsaufforderungen durch Einzelpersonen oder Anwälte bezeichnet, die systematisch nach bestimmten, leicht zu findenden Rechtsverstößen (wie bei Google Fonts) suchen. - Wie lange wird es dauern bis der EuGH entscheidet?
Verfahren vor dem EuGH dauern in der Regel zwischen 1,5 und 2 Jahren. Mit einer Entscheidung ist also nicht vor 2027 zu rechnen. - Sollte ich eine Google Fonts-Abmahnung jetzt einfach ignorieren?
Nein. Bis zur Klärung durch den EuGH ist die Rechtslage unsicher. Eine ignorierte Forderung kann zu einem Mahnbescheid und weiteren Kosten führen. Eine anwaltliche Prüfung ist weiterhin dringend anzuraten. - Wie kann ich meine Website jetzt rechtssicher machen?
Die rechtssichere Lösung besteht darin, Google Fonts lokal auf dem eigenen Server zu hosten, sodass keine Verbindung zu Google-Servern mehr aufgebaut wird. Unsere Experten können Ihre Website prüfen und Sie bei der korrekten Einbindung unterstützen. Kontaktieren Sie uns unter sofortdatenschutz.de/kontakt/.
Fazit
Der BGH zieht die Notbremse und will dem Geschäftsmodell der provozierten DSGVO-Verstöße ein Ende setzen. Die Vorlage an den EuGH ist ein klares Signal, dass die deutschen Höchstrichter einen systematischen Missbrauch der eigentlich zum Schutz von Betroffenen gedachten DSGVO-Regeln nicht länger hinnehmen wollen. Für tausende von Unternehmen, die in den letzten Jahren Opfer von Abmahnwellen wurden, ist dies ein Hoffnungsschimmer. Bis zur endgültigen Entscheidung aus Luxemburg bleibt die beste Verteidigung jedoch eine technisch saubere und datenschutzkonforme Website.



