Darf der Kauf eines Tickets an die zwingende Angabe einer E-Mail-Adresse oder Handynummer geknüpft werden? Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main hat in einem Urteil entschieden: Nein. Diese Praxis der Deutschen Bahn ist rechtswidrig, da die Datenerhebung für die eigentliche Vertragserfüllung – die Beförderung – nicht erforderlich ist.

Deutsche Bahn vs. Verbraucherschutz: Der Streit um die E-Mail-Pflicht

Die Deutsche Bahn bot ihre „Spar“- und „Super-Sparpreistickets“ ausschließlich digital an. Selbst beim Kauf am Schalter mussten Kunden eine E-Mail-Adresse oder Handynummer angeben, um das Ticket bzw. die Auftragsnummer zu erhalten. Ein Kauf am Automaten war nicht möglich. Ein Verbraucherschutzverband sah darin eine unzulässige Datenverarbeitung und klagte gegen die marktbeherrschende Stellung der Bahn ausnutzende Praxis.

OLG Frankfurt urteilt: Datenminimierung gilt auch für die Bahn

Das Gericht gab der Klage vollumfänglich statt. Die Begründung ist eine schallende Ohrfeige für weit verbreitete Datensammelpraktiken und stützt sich auf zwei Säulen der DSGVO:

  1. Keine freiwillige Einwilligung: Eine Einwilligung war nicht gegeben, da die Kunden keine „echte oder freie Wahl“ hatten. Die Bahn machte die Vertragserfüllung von der Angabe der Daten abhängig. Wer das günstige Ticket wollte, musste seine Kontaktdaten preisgeben. Dies widerspricht dem Grundsatz der Freiwilligkeit (Art. 7 DSGVO).
  2. Nicht zur Vertragserfüllung erforderlich: Das Gericht definierte den Kern des Vertrages klar: „Kundinnen und Kunden möchten zu einem günstigen Preis mit der Bahn an einem bestimmten Tag von A nach B fahren.“ Die Erstellung eines digitalen Tickets sei nicht der Hauptzweck, sondern diene vornehmlich unternehmensinternen Interessen wie Effizienz, Kundenbindung und Werbung. Die Datenerhebung ist somit nicht zur Erfüllung des eigentlichen Beförderungsvertrages erforderlich (Art. 6 Abs. 1 lit. b DSGVO).

Das Gericht resümierte: „Der Verantwortliche muss also den Prozess für den Zugang zu seinen Leistungen wählen, der mit dem geringsten Maß an personenbezogenen Daten auskommt. Daran fehlt es hier.“

Implikationen für alle Unternehmen: Wann sind Kundendaten wirklich „erforderlich“?

  • Der Kern der Dienstleistung zählt: Fragen Sie sich bei jedem Datenfeld: Benötige ich diese Information zwingend, um mein Kernprodukt oder meine Kerndienstleistung zu liefern? Ein Online-Shop benötigt die Adresse für den Versand, aber nicht zwingend die Telefonnummer.
  • Unternehmensinterne Effizienz ist kein Freibrief: Nur weil die Erfassung einer E-Mail-Adresse für Sie Prozesse vereinfacht, Kosten senkt oder Marketing ermöglicht, macht sie das nicht „erforderlich“ im Sinne der DSGVO. Das Interesse des Unternehmens muss hinter dem Recht auf Datenschutz des Kunden zurückstehen.
  • Echte Wahlfreiheit bei der Einwilligung: Wenn Sie Daten für nicht-essenzielle Zwecke (wie Marketing) erheben wollen, muss dies über eine separate, freiwillige Einwilligung geschehen, die nicht Voraussetzung für den Vertragsabschluss ist.
  • Datenminimierung als Design-Prinzip: Dieses Urteil zwingt Unternehmen dazu, ihre Prozesse aktiv zu hinterfragen und die datensparsamste Variante als Standard anzubieten, anstatt die datenhungrigste.

FAQ: Pflichtangaben & DSGVO – Was Sie wissen müssen

  • Muss ich meinen Kunden immer eine analoge Alternative anbieten?
    Nicht zwangsläufig. Aber wenn Sie bestimmte Produkte (wie hier günstige Tickets) nur digital anbieten, dürfen Sie nicht mehr Daten als unbedingt nötig für die digitale Abwicklung verlangen.
  • Was genau bedeutet „erforderlich zur Vertragserfüllung“?
    Es sind nur die Daten, ohne die der Vertrag objektiv nicht erfüllt werden kann. Beispiel: Adresse für die Warenlieferung, E-Mail für die Zusendung eines reinen Digitalprodukts, aber nicht die Telefonnummer „für Rückfragen“.
  • Ist eine Einwilligung ungültig, wenn sie Bedingung für den Kauf ist?
    Ja, in der Regel schon. Dies nennt man das „Kopplungsverbot“ (Art. 7 Abs. 4 DSGVO). Die Einwilligung in die Verarbeitung nicht erforderlicher Daten darf nicht an die Erfüllung eines Vertrags gekoppelt werden.
  • Mein Geschäftsmodell ist rein digital. Was muss ich beachten?
    Auch hier gilt Datenminimierung. Wenn ein Download-Link auf einer Bestätigungsseite ausreicht, könnte die zwingende Angabe einer E-Mail zur Zusendung des Links bereits in Frage gestellt werden, falls der Nutzer anonym bleiben möchte.

Fazit: Ein klares Signal für mehr Datenminimierung und gegen Zwangsbeglückung

Die Entscheidung des OLG Frankfurt ist ein Weckruf für alle, die digitale Produkte und Dienstleistungen anbieten. Die Zeit der bequemen Datenerfassung unter dem Vorwand der Notwendigkeit ist vorbei. Unternehmen müssen jetzt proaktiv handeln, ihre Datenerhebung auf das absolute Minimum reduzieren und echte Wahlfreiheit bei der Einwilligung gewährleisten. Wer seine Prozesse nicht anpasst, riskiert nicht nur rechtliche Konsequenzen, sondern auch den Vertrauensverlust seiner Kunden.

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